Warum die Zukunft uns nicht braucht oder warum der Mensch ein Schaf ist

Über den Anteil der Intelligenz in der Künstlichen-Intelligenz-Debatte

Bill Joy, ein Mann mit verkorkster Kindheit und Jugend (krankhaft ehrgeizige Eltern, mit drei Jahren eingeschult und zudem noch einige Klassen übersprungen, der in seiner raren Freizeit - die gabs, wenn die Eltern aus dem Haus waren - nichts Besseres mit sich anzufangen wusste, als sich vor den Fernseher zu setzen, um Star Trek zu sehen) sowie einem entsprechend tristen Erwachsenenleben (Mitbegründer der Computerfirma Sun Microsystems, Entwickler der Programmiersprachen Java und Jini, Anhäufer von über einer Milliarden Dollar zu Zwecken, nach denen man Bill Joy vermutlich besser nicht fragt), tat eines Tages Überraschendes: Er veröffentlichte in der amerikanischen Internetzeitschrift Wired einen Aufsatz unter dem Titel: "Warum uns die Zukunft nicht braucht". Milieubedingter Borniertheit mag es geschuldet sein, dass in diesem Artikel auch nicht im Ansatz das verwandt klingende und sich den meisten Menschen bereits heute stellende Problem “warum die Gegenwart uns nicht braucht” thematisiert ist. Auslöser des Wired-Aufsatzes, den FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher anlässlich des Abdrucks in seinem Blatt sich nicht scheute zu vergleichen mit dem Brief, in dem Albert Einstein 1939 den amerikanischen Präsidenten Roosevelt aufforderte, die Atombombe zu bauen, bevor es die Deutschen tun, war ein Unbehagen, das, wie alles im Leben, einen Anfang hatte. "Mein Unbehagen nahm seinen Anfang, als ich Ray Kurzweil begegnete", so Joy in seinem Artikel. Ray Kurzweil wiederum ist nicht nur Robotik-Forscher und Autor des Buches "Homo S@piens" (Original: The Age of Spiritual Machines)erschien, sondern dadurch zugleich hinlänglich qualifiziert, um im Beraterstab von Bill Clinton Platz zu finden.

Kurzweil behauptet, dass im Laufe des 21. Jahrhunderts die Unterschiede zwischen Mensch und Maschine wegfallen würden. Nichtbiologische Maschinenwesen würden intelligente Persönlichkeiten mit Gefühlen und Reaktionsvermögen werden. Und die Menschen der alten Art würden Körper und Geist mit rasant rechnenden Mikrocomputern aufrüsten, um gegenüber den Robotern konkurrenzfähig zu bleiben. Klar ist an dieser Stelle lediglich Joys sich aus der Wiederkehr des Verdrängten ergebendes Unbehagen. Intelligente Maschinen erinnern fatal an die Cyborgs, die in den verstohlen geschauten Star-Trek-Filmen für den Part der Unsympathen und Verdruss Bereitenden zuständig waren. Cyborg und Mensch standen in einem Verhältnis zueinander, das menschengefährlich zu nennen schon fast euphemistisch wäre. Joy postuliert, dass “die mächtigsten Technologien des 21. Jahrhunderts – Robotik, Gentechnik und Nanotechnologie - den Menschen zur gefährdeten Art” machen, und empfiehlt deshalb den Ausstieg.

Unklar sind hingegen bisher noch Plausibilität und Grundlage der Joys Furcht begründenden kurzweilschen Argumentation. Diese bezieht sich wesentlich auf ein von Intel-Mitbegründer Gordon Moore aufgestelltes und nach ihm benanntes Gesetz, das die exponentielle Verbesserung der Rechnerleistungen bisher korrekt vorausgesagt hat. Die Annahme der Gültigkeit von “Moores Gesetz” auch noch im Jahr 2030 gründet wiederum in radikalen Fortschritten im Bereich der Molekularelektronik und der dieser zugehörigen Nanotechnologien. Demnach wären die Rechner im Jahre 2030 eine Million Mal leistungsfähiger als heute, was nach kurzweilschem Bewusstsein ausreichen würde, damit diese über Bewusstsein verfügen. Bewusstsein ist für Kurzweil Resultat evolutionärer Entwicklung, in deren Verlauf sich lt. Robotik-Forscher Hans Moravec ca. alle 15 Millionen Jahre das Maximum an Masse eines Nervensystems verdoppelt hat. In einem Spiegel-Interview verweist Kurzweil auf jüngste Experimente, in denen nach dem Prinzip des chaotic computing die prinzipiell gleiche Funktionalität von biologischen und elektronischen Neuronen bewiesen worden sei.

Nun mag nicht jeder Mensch befriedigt sein über den Bescheid, sich, streng wissenschaftlich betrachtet, nur durch größere Nervenmasse von beispielsweise der eben glücklich erschlagenen Stechmücke zu unterscheiden, und deshalb protestierend einwenden, dass menschlicher Geist, obwohl an Materie gebunden, sich nicht in dieser erschöpfen würde. Ein Protest, der von Leuten, die kein Jota Meta- in ihrer Physik dulden, überhaupt nur zu Protokoll genommen würde, wenn er sich mit diesem Satz bescheidet und ihm keine weiteren Ausführungen hinzugefügt würden darüber, was denn dies sei oder sein könnte, Geist. In diesem Fall würde mensch vielleicht zu hören bekommen, dass man zugestandenermaßen nicht sagen könnte, was Geist denn nun genau sei, dass aber zukünftige Rechner mit ihrer Leistung gar nichts anderes anfangen könnten, als eben Geist oder Intelligenz auszubilden. Wenn nicht wünsch-, so doch zumindest unvermeidbar, dies. Möglich aber auch die Auskunft, man wisse zwar nicht, was Geist sei, dafür aber neuerdings genauer, wo er wohne, in den Spiegelneuronen nämlich. In des Geistes Wohnung könne man demnächst einen Nanoroboter schicken, um diesen abzuscannen, danach ließe sich mit Sicherheit mehr und Genaueres sagen.

Mehr und bessere Auskunft als die so für die Zukunft in Aussicht gestellte war jedoch seit Menschengedenken zu bekommen. Eine ebenso spannende wie rahmensprengende Geschichte, die von uns eine Zuspitzung in folgender Form erfährt: Für Hegel zeigte sich der sich selbst durch die Geschichte bewegende Geist in seiner Entfaltung in der Wirklichkeit, weshalb er schlussfolgerte: “Was vernünftig ist, ist wirklich, und was wirklich ist, ist vernünftig.” Marx kritisierte die hegelsche Vorstellung, wonach allem Sein Bewußtsein zugrunde liegt, wahrscheinlich nicht zuletzt wegen eines Unbehagens über den von Hegel gemachten und an sich völlig logischen Schluss. Er stellte deshalb nicht nur den Satz “Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewußtsein” auf, sondern damit zugleich Hegel vom Kopf auf die Füße. So sagte er zumindest. Ohne hier auf die damit umrissene Debatte näher einzugehen, ist angezeigt, dass Geist mit Gesellschaft, die mal als sein Resultat und mal als seine Voraussetzung verstanden wird, untrennbar verbunden ist. Der Blick auf den Geist ist deshalb immer auch einer auf die Gesellschaft.

Die ist nun so geraten, dass deren Elite aufgrund ihrer eigenen Praxis zwar an die Möglichkeit der Abschaffung des Menschen in naher Zukunft glaubt (ihr Streit geht ausschließlich um den Grad der Wahrscheinlichkeit dieser Möglichkeit), nicht aber an die Möglichkeit der Verhinderung oder grundsätzlichen Änderung dieser spezifischen Praxis. Bei den Pionieren der neuen Technologien ebenso wie bei den Protagonisten der auf diese sich stützenden Neuen Ökonomie handelt es sich ganz offensichtlich um Zwangscharaktere, in denen sich technologische Allmachts- und praktische Ohnmachtsvorstellungen miteinander paaren.

“Jetzt stehen wir”, meinte Bill Clinton im Februar anlässlich der nanotechnologischen Initiative seiner Regierung, “am Vorabend der dritten industriellen Revolution”. Internetfirmen schwafeln unter dem Motto “A new world. A new way”: “Es geht um das Gefühl, führend zu sein. Es geht darum, sämtliche Aspekte zu hinterfragen und jede einzelne Facette zu revolutionieren.” Ihr Publikum stimmt jauchzend ein: “Wir sind die Generation @.” Deren bevorzugter Platz ist am Computer, der ihr die Welt bedeutet. Diese ist bestimmt durch eine Unmasse Informationen, denen sich mit einer einzigen, sich auf das Wertdepot beziehenden Fragestellung genähert wird. Interessant ist, was diese betrifft, also so ziemlich alles. Die Betroffenheit selber jedoch ist von mitleidsloser Gestalt, die auch aus dem Leiden befriedigt Nektar saugt. Richtig schön aber ist es in der @-Welt nur, wenn sie ganz bei und unter sich ist. Ihre bevorzugten Waren sind folglich nicht stofflicher Natur, sondern Verbindungen, Kommunikations- und Computersysteme und sonstige dazugehörige Dienstleistungen.

Leicht vorstellbar auch, was geschehen wird, wenn der genetische Code des Menschen nicht nur protokolliert, sondern auch begriffen ist. Der unentwegt sein Depotkapital Optimierende wird mit seinem Humankapital, als das er seinen Körper begreift, wesentlich gleich verfahren. Lebensweise wird sich ausrichten an genetischer Disposition, soweit diese nicht manipulierbar ist. Bestand für Bill Joy das Faszinosum des Computers darin, dass dieser ihm genau mitteilte, was richtig und was falsch ist, so wird Antwort auf die Frage nach richtigem und falschem Leben mittels der DNS erteilt. Erfreulich immerhin, dass in diesem Zusammenhang gestellte Fragen heikler Art, wie die nach der Möglichkeit des Klonens und der damit völlig zu Unrecht verbundenen Angst, vermeintliche Einzigartigkeit zu verlieren - so als sei der Mensch ein rein biologisch bestimmtes Wesen und deshalb mit einem Schaf vergleichbar -, sich erledigen werden. Aber nur deshalb, weil die hier unbegründete Sorge um menschliche Verschiedenheit ihren Gegenstand, die Verschiedenheit, immer mehr verlieren wird. Diese hatte eine Menge offener Fragen zur Voraussetzung, auf die verschiedene Menschen unterschiedlich und immer vorläufig antworteten. Strittige Differenz war die notwendige Folge. Die durch ökonomischen und medizinischen Optimierungszwang bedingte Angleichung der Menschen wird eine stärkere sein, als sie über Klonen erfolgen könnte. Schamlos und perfide aber ist im Angesicht von Millionen Hungertoten und auch an jetzt schon leicht zu heilenden Krankheiten Krepierender das Versprechen der allgemeinen Überwindung von Krankheit und körperlichem Leid.

Technologische Entwicklungen sind nicht voraussetzungslos. Konkret vollziehen sie sich auf kapitalistischer Grundlage, motiviert sind sie über die Absicht der Verwertung eingesetzten Kapitals. Der Erfolg einer Technologie bestimmt sich ökonomisch. Den über die Selbstbezüglichkeit der Geldvermehrung bestimmten Verwertungsprozess bezeichnete Marx als “automatisches Subjekt”. Dieses war jedoch angewiesen auf die Produktion nützlicher Güter. Der Tauschwert konnte sich vom Gebrauchswert nicht lösen. Freilich war die souveräne Ignoranz, mit der existenzielle Bedürfnisse nicht befriedigt wurden bei gleichzeitig mit hohem Reklameaufwand erzeugter neuer, schon immer Hinweis darauf, dass das Brauchenkönnen dem Kaufenkönnen untergeordnet und nur mitgeschleppt war. Die Güterproduktion selbst erfolgte mittels großer Maschinerie, die nach Marx den lohnarbeitenden Produzenten zu ihrem bloßen Anhängsel machte. Diese Art der Produktion gehört nach den Aposteln der neuen Technologien in der Bereich der old economy. Vielleicht unterscheidet sich die Neue Ökonomie in nichts so sehr von der alten wie in ihrer deutlich gesteigerten Selbstreferentialität. Ohne sich von der alten lösen zu können, gewichtet sie die Idee doch höher als die stoffliche Materie. Indem sie sich von dieser so weit als möglich löst, bemächtigt sie sich zugleich des Geistes. Einen Geist, für den Adornos Diktum, dass “das Wissen komplizierter Einzelverhältnisse einer der wichtigsten Tricks (ist), um wirkliche Erkenntnis zu sabotieren. Die Fakten sind heute tendenziell zu Schleiern vor der Realität geworden”, unter Streichung des Wortes tendenziell absolute Gültigkeit gewonnen hat. Die Wissens- und Informationsgesellschaft wird frei sein von Erkenntnis im emphatischen Sinne. Wenn denn eines Tages der Computer den Turing-Test und damit nach landläufiger Auffassung die Probe auf seine Intelligenz besteht, wird dies ebenso gigantische Rechnerleistung bezeugen wie die definitive Ankunft der Geistes "im Reich des ewigen Winters der Positivität, die das Reich der Nacht des menschlichen Denkens ist" (Kant).

Das Bewusstsein der Generation-@ lechzt nach der Festplatte. Die Verschmelzung beider in the long run ist eher logisch als erschreckend. Zukünftig überflüssig zu werden, kann für die heute Überflüssigen so bedrohlich nicht sein. Wer über die Schrecken der Gegenwart sich nicht empört, sollte von den zukünftig möglichen schweigen.

Quelle: Rosa Luxemburg Gesellschaft e.V., Editorial, Wintersemester 2000/01

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