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Für viele Linke ist es schon jetzt klar. Der Krieg, den die USA und andere gegen den Irak androhen, wird, wenn er denn kommt, aus wirtschaftlichen, insbesondere um den freien Zugang zu Ölquellen bestimmten Motiven geführt werden. Die angesichts des barbarischen gesellschaftlichen Systems des Irak ebenso wie angesichts einer komplexen internationalen Konstellation z.T. kaltschnäuzige Selbstsicherheit und Selbstgerechtigkeit, mit der solches ständig wiederholt wird, verblüfft. Und sie verblüfft doch nicht, denn sie gründet in einer linken Tradition, nach der der Kapitalismus in einem imperialistischen Stadium befindlich begriffen wird, in dem kapitalistische Staaten und insbesondere die USA als führende kapitalistische Nation sich die Welt nach ihren bzw. der in diesen Ländern herrschenden wirtschaftlichen Eliten Interessen gewaltsam aufteilten und zu eigen machen. Die antikapitalistische Linke hätte dementsprechend als eine antiimperialistische zu agieren. Die Tauglichkeit der Begriffe für Theorie und mithin auch Praxis linker Politik wird aber von anderen, zu denen sich auch die Rosa zählt, nicht erst nach den Terroranschlägen des 11. September infrage gestellt. Hinterfragt werden können dabei sowohl wesentliche Grundannahmen des Imperialismusbegriffes wie auch bestimmte Implikationen einer antiimperialistischen Politik.
Folgende Texte sollen als Basis für die Debatte dienen:
Radikale Kurzschlüsse In den Imperialismustheorien treffen sich Ökonomismus
und moralisierende Kritik. Sie taugen nicht dazu, den weltweiten Kapitalismus
zu analysieren. Von Michael Heinrich
In einer Zeit, da der Kapitalismus als Zivilgesellschaft verharmlost wird und
Kriege als Interventionen zur Durchsetzung der Menschenrechte bezeichnet werden,
mag die Rede vom »Imperialismus« als besonders radikal erscheinen. In der Tat
haben sich in den neunziger Jahren viele ehemalige Linke, die inzwischen die
Segnungen des Marktes entdeckt haben, vom Begriff des Imperialismus verabschiedet.
Allerdings lässt sich nicht im Umkehrschluss folgern, dass das Festhalten an
den Imperialismustheorien eine radikale Kritik des Bestehenden garantiert.
Meistens soll der Begriff des Imperialismus deutlich machen, dass die Politik
der führenden kapitalistischen Länder nicht der Verbesserung der Welt, sondern
der Durchsetzung von Kapitalinteressen dient. Bei jeder militärischen Intervention
einer »imperialistischen Macht« wird von den Imperialismustheoretikern nach
den Rohstoffquellen oder den Routen für zukünftige Pipelines gesucht, um die
es »eigentlich« gehe.
Bei Lenin, dessen Imperialismustheorie die Kombination des sozialdemokratischen
Vulgärmarxismus seiner Zeit mit der bürgerlichen Imperialismuskritik von John
A. Hobson war, folgte diese Auffassung aus der Vorstellung, der »Konkurrenzkapitalismus«
sei vom »Monopolkapitalismus« abgelöst worden. Nicht mehr die Konkurrenz und
das (unpersönliche) Wertgesetz, sondern die bewusste Herrschaft der »Finanzoligarchie«,
der Vertreter des Finanzkapitals, d.h. der Verbindung von großem Industrie-
und Bankkapital, charakterisiere den gegenwärtigen Kapitalismus. Und diese »Finanzoligarchie«
habe sich auch gleich noch den Staat unterworfen, staatliche Politik nach außen
diene lediglich der Absicherung des Kapitalexports und der Kontrolle von Rohstoffquellen.
Dagegen wurde schon oft argumentiert, dass sich der Kapitalismus des 20. Jahrhunderts
keineswegs als »Herrschaft der Monopole« beschreiben lässt. Die zunehmende Kapitalkonzentration,
der »empirische Beleg« für die Monopolisierung, ist nicht gleichbedeutend mit
dem Verschwinden der Konkurrenz und mit der persönlichen Herrschaft weniger
Monopolisten. Deshalb lässt sich auch die ökonomistische Staatsauffassung von
Hobson und Lenin, denen der Staat in erster Linie als Instrument zur Durchsetzung
der Interessen der Finanzoligarchie galt, nicht mehr aufrechterhalten. Ökonomistische
Staats- und Politikauffassungen sind in der Linken jedoch auch jenseits leninistischer
Strömungen weit verbreitet, so dass diese Seite der Imperialismustheorie auf
weniger Kritik stieß.
Auf Hobson geht auch ein anderer Aspekt der Imperialismustheorie zurück: die
moralische Kritik an der Ausbeutung fremder Völker (und nicht nur des eigenen)
durch den Imperialismus. Die Rede vom »parasitären« Charakter des Imperialismus,
die bei Lenin eine wichtige Rolle spielt, stammt wörtlich von Hobson. Für einen
bürgerlichen Imperialismuskritiker, der den schlechten, imperialistischen Kapitalismus
durch einen besseren, reformierten ersetzen will, ist eine derartige Auffassung
konsequent, aber kaum für jemanden, der eine grundsätzliche Kritik am Kapitalismus
formulieren will.
In verschiedenen Gestalten hat sich diese moralisierende Kritik in den neueren
Versionen der Imperialismustheorie erhalten, auch wenn nicht mehr vom »Parasitismus«
die Rede ist. Und wie schon bei Lenin wurde im »nationalen«, auf einen eigenen
Staat zielenden Widerstand der vom Imperialismus ausgebeuteten Länder ein von
vornherein fortschrittliches, weil antiimperialistisches Projekt gesehen. Zwar
war dieser Widerstand in vielen Ländern verständlich, doch das heißt nicht,
dass der Kampf für einen souveränen bürgerlichen Staat irgendetwas mit Sozialismus
zu tun hätte oder gar das Funktionieren des kapitalistischen Weltsystems unterminierte,
was sich etwa die Studentenbewegung einst von den antiimperialistischen Bewegungen
im Trikont versprochen hatte.
Mit ihrer Verbindung von Ökonomismus und moralisierender Kritik waren Imperialismustheorien
schon früher kein tragfähiges Mittel zur Analyse des kapitalistischen Weltsystems,
heute sind sie es auch nicht. Dass sich rechtsextreme Gruppen heute als »Antiimperialisten«
sehen und den Kampf »unterdrückter Völker« bejubeln, ist nicht einfach nur ein
Diebstahl von Begriffen. Auch wenn sich linker und rechter »Antiimperialismus«
nicht gleichsetzen lassen, ist die Existenz eines rechten Antiimperialismus
zumindest ein Indiz für grundlegende Defizite der Imperialismustheorien.
Wird jedoch versucht, jenseits ökonomistischer Verkürzungen vom Imperialismus
zu sprechen, dann bleibt meistens unklar, was mit diesem Begriff analytisch
überhaupt noch gemeint sein soll. Konsequenter wäre es, diesen mit Vulgärmarxismus,
Ökonomismus und Moral getränkten Zopf des Traditionsmarxismus abzuschneiden.
Damit soll nicht behauptet werden, dass Herrschaftsverhältnisse und ökonomische
Abhängigkeiten auf internationaler Ebene keine Rolle mehr spielten, wie es etwa
die Rede von einer entstehenden weltweiten Zivilgesellschaft, in der schließlich
alles dem »Recht« unterworfen sei, nahe legt. Solchen affirmativen Konzeptionen
durchaus verwandt ist auch die Überwindung der Imperialismustheorie durch Antonio
Negri und Michael Hardt, und zwar ihre Vorstellung, die verschiedenen konkurrierenden
Imperialismen, welche durch die klassischen Imperialismustheorien zutreffend
beschrieben worden seien, seien durch ein einziges Empire ersetzt worden, das
nicht nur kein Außen mehr kennt, sondern auch keinen Ort der Macht. Der Ökonomismus
der Imperialismustheorien wird damit nicht wirklich kritisiert, es wird lediglich
festgestellt, dass sich die früheren, angeblich klaren Verhältnisse aufgelöst
haben.
Auch in einer nicht ökonomistischen Perspektive ist hervorzuheben, dass der
bürgerliche Staat als »ideeller Gesamtkapitalist« die Voraussetzungen kapitalistischer
Akkumulation einschließlich der sozialstaatlich vermittelten Existenz einer
Klasse, die ausgebeutet werden kann, zu sichern hat - nicht nur als Funktionsbedingung
des Kapitalismus, sondern als Voraussetzung der eigenen ökonomischen Existenz
des Staates, die an ausreichende Steuereinnahmen, begrenzte Sozialausgaben und
ein »stabiles« Geld gebunden ist.
Allerdings besteht diese staatliche Sicherung einer gelingenden Akkumulation
nicht in der politischen Wahrnehmung eines bereits fertig vorliegenden kapitalistischen
Klasseninteresses. Was zu dieser Sicherung alles nötig ist, wie deren Vor- und
Nachteile verteilt werden, muss überhaupt erst innerhalb der verschiedenen staatlichen
Institutionen und der »bürgerlichen Öffentlichkeit« ermittelt und zu einem gesellschaftlichen
Konsens gemacht werden. Dieser Konsens betrifft nicht nur die Zustimmung der
großen Kapitalfraktionen zur staatlichen Politik, er muss immer auch die Zustimmung
der subalternen Klassen zu den ihnen aufgebürdeten Lasten einschließen. Dabei
ist die Herstellung dieses Konsenses aber kein bewusstes Projekt einer alles
durchschauenden Gruppe von Politikern, sondern findet selbst noch innerhalb
der Fetischformen kapitalistischer Vergesellschaftung, der »Religion des Alltagslebens«
(Marx), statt.
Auf internationaler Ebene haben wir es nicht einfach mit einem Zusammenstoß
dieser Staaten und der von ihnen verfolgten Interessen zu tun. Nicht nur sind
die staatlichen Beziehungen inzwischen über eine Vielzahl internationaler Institutionen
vermittelt, auch die zunehmende Internationalisierung des Kapitals, die wiederum
neue, nichtstaatliche Akteure hervorbringt, legt den einzelnen Nationalstaaten
spezifische Restriktionen auf und wird andererseits aber auch gerade durch deren
Politik gefördert. In diesem komplexen Geflecht vervielfältigen sich die Gegensätze
und die Ebenen, auf denen sie ausgetragen werden. Staaten der Nato, die Krieg
gegen einen Dritten führen, verfolgen vielleicht im Rahmen der Welthandelsorganisation
(WTO) höchst unterschiedliche Interessen, die zu einem Handelskrieg eskalieren
können.
Staatliche Macht verschwindet jedoch nicht und wird auch nicht nivelliert. Nach
wie vor können wir von einer US-amerikanischen Hegemonie sprechen, wobei Hegemonie
mehr meint, als nur streng definierte »eigene« Interessen durchzusetzen. Es
geht stets um eine »Ordnung« des kapitalistischen Weltsystems, von der auch
andere (als Lohn für die Akzeptanz der Hegemonialmacht) mehr oder weniger profitieren.
Allerdings zeichnet sich mit der Formierung der EU in Richtung eines eigenen
Staatsgebildes ab, dass den USA langfristig ein nicht nur ökonomischer, sondern
auch politischer Konkurrent erwachsen könnte.
Für die einzelnen Staaten ist es auf der internationalen Ebene zunächst einmal
wichtig, eigene Handlungsmöglichkeiten zu schaffen und zu erhalten - was man
etwa an den zum Teil krampfhaften Versuchen des vereinigten Deutschlands beobachten
kann, sich an militärischen Interventionen, wie in Somalia, im Kosovo oder in
Afghanistan, zu beteiligen. Die »souveräne« Verwendung militärischer Macht soll
sowohl gegenüber den misstrauischen Verbündeten als auch gegenüber der eigenen
Bevölkerung als Normalität durchgesetzt werden.
Einfluß nehmen zu können und Dominanz auszuüben sind notwendige Voraussetzungen,
um auf der weltpolitischen Ebene mitspielen zu können. Insofern lassen sich
viele politische und militärische Aktionen, die auf die Sicherung von Einflußsphären
und die Ausschaltung möglicher Gegner gerichtet sind, gerade nicht auf die Verfolgung
bestimmter Kapitalinteressen reduzieren - auch wenn solche Interessen im Verlaufe
dieser Aktionen gerne bedient werden. Wenn man im Fall eines militärischen Konflikts
nach Rohstoffquellen und Pipelines sucht, wird man zwar immer welche finden,
nur ob es sich dabei tatsächlich um die entscheidenden Ursachen handelt, wie
die ökonomistischen Kurzschlüsse der Imperialismustheorie behaupten, ist damit
noch lange nicht ausgemacht.
Aus: Jungle World 16/02
Realer Imperialismus und Mythenbildungen Weder der Kampfbegriff der »Zivilisation«
noch die Globalisierungskritik haben analytische Trennschärfe. Von Rainer Trampert
Die Weltlage ist weder von einem Netzwerk mit einem »produktiven Innerhalb«
(Toni Negri) geprägt noch von einer einheitlichen »Weltinnenpolitik«. Schon
gar nicht haben Kapitale, wie ich in dieser Artikelserie las, den Spaß am Krieg
verloren, weil er Geld kostet. Der US-Botschafter in Saudi-Arabien sagte nach
dem Golfkrieg: »Nur die spanische Eroberung der Neuen Welt hat mehr eingebracht.«
Der Raub fremder Mehrwertmasse kann Kriegsgeräte profitabel machen, und nicht
jede historische Epoche begnügt sich mit Terms of Trade, Schuldentilgung und
anderen Profittransfers ins Zentrum.
Das prägende Merkmal der Weltpolitik ist die rasende Regression (Rückkehr zu
älteren Verhaltensweisen bei Verlust des höheren Niveaus) zum klassischen Imperialismus
mit Eroberungen, Protektoraten und nationalen Konkurrenzen. Das vergangene,
etwas höhere Friedensniveau beruhte auf der Existenz des sowjetischen Gegenblocks,
der die Expansion und die Lust, übereinander herzufallen, bremste. Seit der
Westen seine Klammer verloren hat, brechen die Dämme. Die Militärdoktrinen wurden
auf die jeweils nationale Sicherung von Märkten, Rohstoffen, Transportrouten
und die Beseitigung von Renegaten-Staaten umgeschrieben.
Die USA sind aufgebrochen, die Besitzstände zu ihren Gunsten zu korrigieren.
Zbigniew Brzezinski hatte 1999 in seinem Buch »Die einzige Weltmacht - Amerikas
Strategie der Vorherrschaft« angekündigt: Wegen der Schwäche Europas und Russlands
habe »Amerika nur eine kurze historische Chance«, die »Anarchie« auf der Welt
zu beseitigen und »die Gefahr eines Aufstiegs einer neuen Macht hinauszuschieben«.
Es wäre fahrlässig, die Chance verstreichen zu lassen, zumal es in der Geschichte
des Imperialismus völlig normal ist, dass eine Weltmacht ihre Einflusssphären
ausdehnen will und nicht abwarten möchte, bis andere Gegner aufgestiegen sind.
Die USA erfreuen sich, wenn man Henry Kissingers Buch »Die Herausforderung Amerikas
- Weltpolitik im 21. Jahrhundert glaubt, »zu Beginn des neuen Jahrtausends einer
Stellung in der Welt, mit der sich keines der Imperien der Vergangenheit messen
kann«. Als Folge dieser Macht sind ihre »Truppen über die ganze Welt verstreut«
und verwandeln sich gern in »permanente militärische Bindungen«, weil »Kapital
den höchsten Gewinn sucht bei möglichst geringem Risiko«. In dem »gnadenlosen
weltweiten Feldzug« geht es nur nebenbei darum, Terroristen zu verhaften. »Vor
allem geht es darum, sich nicht die außerordentliche Gelegenheit nehmen zu lassen«,
das »internationale System« mit einer »Betonung des nationalen Interesses« zu
korrigieren.
»Trotz der viel beschworenen Globalisierung gibt es« nämlich »geopolitische
Realitäten, die modische Träumereien von einer Universalität ad absurdum führen«.
Schon »der Wettstreit um den Zugang zum Erdöl und seine Transportrouten« könnte
sich »als gewichtiges Hindernis einer koordinierten Politik erweisen«. Wenn
große Korrekturen angesagt sind, ist ein nicht kriegsfähiger Imperialismus nur
ein halber. Deshalb will die EU bis 2003 eine Eingreiftruppe mit über 100 000
Soldaten, 400 Kampfflugzeugen und 100 Schiffen aufstellen, die mindestens ein
Jahr lang Krieg führen kann, und zwar autonom, »wie nationale Streitkräfte«.
Für den Fall, dass die EU losschlägt, »werden die Vereinigten Staaten« aber
»nicht ruhig zusehen können« (Kissinger), zumal Deutschland ohne Bindung an
die USA »ein Anker« fehle, »um nationale Impulse zurückzuhalten«, die immer
wieder auf einen Gegenblock mit Russland zusteuern. Es sei völlig offen, ob
»die Nationen des Westens sich wieder auf einem Kurs befinden, der sie zweimal
fast vernichtet hätte«.
Auch in Asien braut sich einiges zusammen. Japan hat sich den zweitgrößten Kriegsetat
auf der Welt erschlichen und pflegt wieder Großmachtambitionen, und wenn China
weiter so nachindustrialisiert und rüstet wie Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg,
wird es »zum Rivalen der Vereinigten Staaten«. Eine Entscheidungsschlacht ist
aber »nicht im ersten Viertel des Jahrhunderts« zu erwarten. Vorher wären Kriege
um die Vorherrschaft in Asien unter Beteiligung von »Indien, China, Japan und
Russland nicht gänzlich undenkbar«. So oder so: Wenn in Asien »eine Hegemonie
droht, würde Amerika ebenso einschreiten wie im Zweiten Weltkrieg gegen Japan«.
Vorher geht's um den Nahen Osten.
Der Duden definiert Imperialismus als »die Bestrebung einer Großmacht, ihren
politischen, militärischen und wirtschaftlichen Macht- und Einflussbereich ständig
auszudehnen«. Der britische Ökonom John Atkinson Hobson sprach von der Ausdehnung
der Akkumulation auf das Ausland, sofern die inländische Kapitalanlage Schwierigkeiten
bereite. In Lenins Katalog ist mit Ausnahme seines faulenden Kapitalismus vieles
aktuell. Mit allen Definitionen ließe sich etwas anfangen, mit den um sich greifenden
Mythenbildungen leider nichts. Der Mythos vom Krieg der Zivilisation geht auf
Herrn Kipling zurück, der den Imperialismus als Bürde des weißen Mannes begriff,
Barbaren humanitäre Werte und Kultur bringen zu müssen. Diese Definition erlebt
ihre Renaissance bei Linken und Außenministern. Zivilisation muss nicht erklärt
werden, sie steht heute nur für imperialistische Expansion und die alte Mythenfunktion:
die Bindung des Einzelnen an die Gruppe, die sich im Weckruf der bedrohten Stämme
des Abendlandes spiegelt.
Während die aggressive »Zivilisation« als Kampfbegriff eingesetzt wird, suggeriert
der Globalisierungsmythos nur ein Bescheidwissen über nichts. Die einen bringen
den europäischen Imperialismus gegen den amerikanischen in Stellung. Andere
beklagen, dass die »westfälische Ordnung, die das moderne Staatensystem bis
in das 20. Jahrhundert geprägt hatte«, zersetzt wird (Joachim Hirsch). Der westfälische
Friede beendete 1648 den 30jährigen Krieg. Die nächsten 300 Jahre verbieten
jede romantische Begräbnisrede auf die Epoche der Nationalstaaten. Er meint
auch nur die guten »keynesianisch-sozialstaatlichen Strukturen der Nachkriegszeit«,
in der Adenauer regierte. Mit dem Staat, der ohne globale Hindernisse angeblich
Gutes im Schilde führt, wird das Subjekt, das allein für Verbesserungen sorgen
kann, ausgelöscht. In der Adenauer-Ära gab es nur günstigere Bedingungen für
die Durchsetzung: die Frontstellung zum Hauptfeind und die Prosperität. Der
Kapitalismus springt nicht von Keynes zu Adam Smith, sondern kehrt zur Normalität
zurück, seit er auf nichts mehr Rücksicht nehmen muss.
Der Staat wird nicht aufgelöst, er kümmerte sich als »die Form, in welcher die
Individuen einer herrschenden Klasse ihre gemeinsamen Interessen geltend machen«
(Marx), schon immer um das expansive Kapital und verfolgt damit das eigene Interesse,
so viel Profit wie möglich aus der Welt in das eigene Staatsgebiet zu lenken.
Mit dem Raub eines möglichst hohen Quantums festigt er Macht und Spielraum.
Auch die Imperialisten wollen einen starken Staat. Nach innen, um den Verzehr
von Profit durch Menschen, die selber keinen Mehrwert schaffen, ohne Risiko
zu minimieren, und nach außen, um andere Staaten gefügig zu machen.
China schützt als starker Staat die Wachstumszone. Die USA sind ein mächtiger
Staat, der wenig für Soziales verprasst, dem Kapital vorschreibt, wo es keine
Geschäfte machen darf (Kuba, Iran, Irak), und andere Staaten liquidiert. Als
der Enron-Konzern baden ging, sagte Finanzminister O'Neill: »Firmen kommen und
gehen.« Weltkonzerne verschwinden, aber nicht der Staat. Die Vereinigung der
Staaten auf einen Globalisierungsnenner ist Humbug. Es gibt starke Staaten (USA,
Deutschland), schwache (Somalia), neue (Kasachstan), aufgelöste (Jugoslawien)
und einverleibte (DDR).
Die »Globalisierung« hat wenig Neues zu bieten. Der Geldtransfer in Nanosekunden
kann es bis heute nicht mit dem Schwarzen Freitag aufnehmen. Der Kapitalexport
fällt mit fünf Prozent vom Investitionsvolumen klein aus, gemessen an den 40
Prozent im britischen Empire. Die Trennung der Kapitale in ein raffendes und
ein schaffendes kannte Hitler schon, und »was die Weltwirtschaft angeht, so
ist sie verflochten«, schrieb Kurt Tucholsky.
Das hielt den Krieg nicht auf, weil Kapital bei sinkender Profitrate schnell
entflochten ist, wie es die nationale Regression lehrt. »Solange alles gut geht,
agiert die Konkurrenz als praktische Brüderschaft«, schrieb Marx, aber »sobald
es sich nicht mehr um Teilung des Profits handelt, sondern um Teilung des Verlustes,
sucht jeder« so viel wie möglich »dem anderen auf den Hals zu schieben«, und
die »Konkurrenz« verwandelt sich »in einen Kampf der feindlichen Brüder«.
Jede Epoche hat auch Neues zu bieten. Konzerne leisten sich in Afrika Privatarmeen
für Diamanten-, Kautschuk- und Ölfelder, die den Staat entlasten, aber Vorboten
nationaler Eingriffe sein können. Das Just-In-Time-Prinzip diszipliniert Menschen
in der Arbeit und in seiner internationalen Version Staaten. Arbeit und Freizeit
verschmelzen zu einem immer betriebsameren Ganzen. Es gibt Datenübertragungen,
die Standorte vernetzen, aber die Vaterländer nicht überflüssig machen. Es gibt
eine Mediendominanz mit Derrick und Britney Spears, die den Hungertod und Splitterbomben
aber nicht relativieren sollte, und gar schrecklich ist die Vorstellung, im
Boot mit Oskar Lafontaine, Attac, schlesischen oder baskischen Fanatikern gegen
amerikanischen Rock und Pop zu kämpfen.
Aus: Jungle World 17/02
Link zur Zusammenfassung eines "klassischen" Textes zum Imperialismus:
Lenin: Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus - von Werner Hofmann